In den Jahren 2008 bis 2012 besuchte der tschechische Magnum-Fotograf Josef Koudelka immer wieder das Heilige Land für Panorama-Aufnahmen. Dokumentiert wurden die Aufenthalte, aus denen der Bildband „Wall“ entstand, im Film „Koudelka shooting Holy Land„, der in diesen Tagen beim Münchner Dokfest Deutschland-Premiere feierte.
Während der Neuen Rechten der Staat Israel als Vorbild nationaler Selbstbehauptung inmitten des islamistischen Terrorismus dient, sieht die extreme Linke im jüdischen Staat nichts anderes als einen Hort zionistisch-imperialistischer Finsternis. Dazwischen ist oftmals nicht viel, außer Political Correctness oder Desinteresse.
Wie sieht einer bedeutendsten tschechischen Fotografen das provozierende Staats-Gebilde im Nahen Osten? Josef Koudelka dokumentierte schon den tschechoslowakischen „Käfig“ und wurde nach der Emigration einer der stilbildenden Fotojournalisten des 20. Jahrhunderts. Im Film „Koudelka shooting Holy Land“ begleitet der israelische Filmemacher Gilad Baram den Altmeister. Herausgekommen ist eine Art Werkstattbericht unter freiem Himmel, ergänzt durch kurze Reflexionen und Rückblicke Koudelkas.
Eine nachholende Erklärung für den Doku-Titel wird gegen Mitte des Films geliefert. „Shooting Holy Land“ heißt die Dokumentation und eben nicht „Shooting Palestine“ oder „Shooting Israel“. Der Machtanspruch des Religiösen in immer fundamentalistischeren Formen spielt also hinein, und hier verquickt sich der Nahostkonflikt mit der biografischen Sichtweise Josef Koudelkas. Dieser hatte die säkularisierte Groß-Religion des 20. Jahrhunderts erlebt, Waffengewalt und Mauern erlitten und nach dem Prager Frühling das Exil gewählt.
Stereoskopisch überlagert sich damit die sowjetische Fremdherrschaft mit der Okkupation der IDF-Truppen, die Tschechen sind nun die Palästinenser, aber auch das ist nur symbolisch für das, was Religionen und Ideologien nach Koudelkas Auffassung immer mit sich bringen: Stacheldraht, Unterdrückung, Gefängnis. Trotzdem unterscheiden sich Koudelkas Bilder von denen des Prager Frühlings. In Israel drängt er fotografisch ins Symbolische und leistet eine ungeheure Verdichtungsarbeit, Mauern, Zäune, Stacheldraht machen in ihrer schieren baulichen Brutalität die Gewalt im Konflikt allgegenwärtig; in der Tschechoslowakei agierte Koudelka noch narrativ und blieb immer mitten im Geschehen, zwischen sowjetischen Panzern, aufgebrachten Massen und revoltierenden Pragern.
Das Moment biografisch-patriotischer Betroffenheit fehlt also in Israel, das sagt Koudelka auch, und dadurch wird der Film auch unfreiwillig zu einer skurrilen Meta-Reflexion über die Berichterstattung im Nahostkonflikt. Man sollte es sich anschauen: Ein alter Mann in den Siebzigern, der an Wachtürmen, Mauern und Drahtverhauen wartet, kriecht und eben fotografiert – immer auf der Suche nach der besten Komposition.
Den Palästinensern oder den IDF-Soldaten ist der kautzige Koudelka mit seiner gelegentlich schief sitzenden Kappe denn auch eher egal – nur ein weiterer verschrobener europäischer Foto-Tourist, der das Land in seinem heillosen Zustand erkundet. In Abwandlung eines berühmten Reise-Zitats mag bei den Israelis die lakonische Einsicht durchdringen: „Auch so einer fotografiert jetzt hier.“ Dass dabei aber ganz große Foto-Kunst entstanden ist, zeigt uns Gilad Baram ausschnittsweise immer wieder durch die eingeblendeten Panorama-Bilder. Wer das Ganze an visualisierter Beklemmung und Düsternis sehen möchte, kann dies in Josef Koudelkas Bildband „Wall“. Erschienen ist dieser im Münchner Prestel-Verlag.