Zum Inhalt springen

Bergense School

Da ist kein Meer mehr

Als sich Max Liebermann Ende des 19. Jahrhunderts anschickte, die Nordsee zu erkunden, tat er dies mit dem Rücken zum Meer. Im wahrsten Sinne des Wortes. Interessant war für den deutsch-jüdischen Maler das Treiben jenseits der Dünen, wir finden im Oeuvre zunächst Naturalistisch-Lebensweltliches aus dem Milieu der Bauern und Fischer. Eine Wendung zum Meer vollzieht Liebermann in der Begegnung mit den lichtspielerischen Sensationen des Impressionismus. Von nun an geraten die Bilder vom holländischen Zandvoort und anderen Orten zu malerischen Dokumenten bürgerlicher Stadtflucht im Zeichen von Tourismus, Wellness und Erholung.

Bergen School
© Maria Smook-Krikke, Patricia Bracke-Logeman (Hrsg.): Rondom de Bergense School.Holland, 2016. ISBN: 9789462581210

In der holländischen Kunstgeschichte hat sich der Impressionismus mit der Haager Schule etabliert, Eng verbunden ist dieser vor allem mit Namen wie Jozef Israëls. Im Nachgang dieser als „Zweites Goldene Zeitalter“ apostrophierten Strömung wurde der kleine Ort Bergen nördlich von Zandvoort zu einem Versuchslabor moderner Malerei. Und der führte weg vom Impressionismus.

Sucht man nach Publikationen zu dieser Künstlerströmung, so ist der Band „Rondom de Bergense School“ ein lohnender Kauf. Ein Blick in das recht kompakte Büchlein verrät recht schnell, dass sich die Bilder eindeutigen Zuordnungen verweigern. Im Grunde folgen die Künstler dem früheren Liebermann, aber sie gehen darüber hinaus. Die Werke spannen den Bogen von den impressionistisch inspirierten Malereien der Haager Schule, gehen über in einen fauvistischen und dann expressionistischen Pinselstrich und kommen schließlich bei der Malweise der Neuen Sachlichkeit an. Die Heterogenität ist das eigentliche Merkmal der Bergener Schule (Bergense School). Das zeigen auch die Kapitel-Überschriften. Untergliedert ist der Band in die Abschnitte „Landschaft“, „Portrait“ oder „Stillleben“, wobei die einführenden holländischen Texte auch für deutsche Leser verstehbar sind.

Krise und Idyll

Interessant sind auch die Biografien im Anhang des Buches, welche die Bergener Schule (Bergense School) zu einem Brennglas der Epoche machen und diese Strömung vom vorauseilenden wie naheliegenden Vorwurf des Provinzialismus entheben: Nein, das war die oftmals kosmopolitische Maler-Avantgarde im Band keineswegs, vielmehr waren die Künstler schon jene Anywheres in allerdings vorglobalisierter Zeit, von denen heutzutage mitunter die Rede ist. Neben den schulbildnerischen Prägungen hier und dort sind es auch Flucht und Vertreibung, die auch einen Teil der Bergener Maler prägte. Im Zuge des ersten Weltkrieges flüchteten Hunderttausende Belgier nach Holland. Ein anderer Fall liegt bei der Jüdin Elsa Berg, die zusammen mit ihrem Freund deportiert wurde und das Vernichtungslager Auschwitz nicht überlebte.

Nach Max Liebermann muss man mit Blick auf die Bergener sagen: Da ist kein Meer mehr. Die Bergener Maler wandten sich dem Hinterland, dunkleren Stillleben oder psychologisierenden Portrait-Studien zu. Mit alldem vollzogen die Künstler denn auch künstlerisch eine Abkehr vom alten bürgerlichen Europa, das vor dem Weltkrieg noch in mondän-impressionistischen Bildern leuchtete. Nach den Erschütterungen der Epoche folgten überwiegend düster-expressive Einlassungen, die viel von der Unruhe, Nervosität und Gebrochenheit der Jahre nach 1914 durchscheinen lassen.