Wer sich nicht mit den Restaurants und Bars des Prager Gemeindehauses begnügen möchte und das Jugendstil-Gebäude ganz sehen will, muss eine Führung buchen. Was er dann zu sehen und hören bekommt, ist eine mitunter sehr bildgewaltige Geschichte über kulturelle Selbstbestimmung und moderne Architektur. Mehr als andere Art-Nouveau-Gebäude in Prag hat das Obecní dům damit ziemlich viel zu erzählen.
Gleich neben dem gotischen Pulverturm ragt es in einem stumpfen Winkel in den Platz der Republik, das Prager Gemeindehaus. Die Wahl des Platzes selbst war natürlich symbolisch und eine Volte gegen die Habsburger in Wien, da sich im 14. und 15 Jahrhundert der Hof der böhmischen Könige ebendort befand.
Nationale Auferstehung und Größe sollte das Gebäude mithin symbolisieren, und nachdem ein Architekturwettbewerb von 1903 keinen Sieger hervorbrachte, bestimmte der Stadtrat einfach Antonín Balšánek und Osvald Polívka als Architekten. Ersterer hatte sich schon beim Bau des Prager Stadtmuseums in repräsentativer Architektur hervorgetan, Polívka zeigte sich wiederum in seinen beiden berühmten Jugendstil-Bauten in der Národní třída ganz dem Neuen verpflichtet. Geprägt vom Historismus waren sie aber beide, und dass der Bau schon nach der Eröffnung den einen als überholt, manchen sogar als eklektizistische Scheußlichkeit galt, war nicht nur den beiden Prager Architekten geschuldet.
Kosmopolitisch und slawophil
1905 begonnen und 1912 vollendet, wirkten insgesamt 30 Künstler an der Entstehung des Repräsentationshauses mit, und das Durcheinander an Stilen kann heute als eigentlicher Anziehungspunkt gelten. Die Fassade imponiert sowohl durch ihren Art-Nouveau-Stil als auch durch Renaissance- und Barock-Elemente. Ganz dem Jugendstil verpflichtet zeigt sich hingegen die Marquise, von der der Blick unweigerlich auf das halbkreisförmige Mosaik von Karel Špillar wandert: „Heil Dir, Stadt Prag! Trotze schlechten Zeiten, wie Du Jahrhunderte den Stürmen getrotzt hast.“
Links und rechts der Eingangs-Kuppel errichtete Ladislav Saloun zwei Skulpturen, die eine heißt die „Demütigung“, die andere die „Auferstehung der Nation“. Auf den Eingangssäulen befinden sich Atlanten, die aber nicht die Weltkugel, sondern – je nach Ansicht – die Prager Laterna Magica oder eine böhmische Kristallkugel tragen.
Betritt man das Gebäude, erscheint links der Eingang des Böhmischen Restaurants, rechts der des Französische. Im Untergeschoss findet man die American Bar, alle variieren Sie in Ihrem Interieur die Themen der Zeit. Das Pilsener Restaurant zeigt die sezessionistische Anverwandlung böhmischer Volkskunst, das Französische Restaurant wurde ganz nach der belgischen Schule gestaltet. Die „American Bar“ im Keller variiert das Thema Art Nouveau in seiner britischen Ausprägung. Das Interieur zeigt sich hier geometrisch-klar.
„… verwaiste Heimat, Du wirst auferstehen!“
Bleibt das Repräsentationshaus in diesen Räumlichkeiten in der Formensprache noch regelrecht kosmopolitisch, so ändert sich der Eindruck im Obergeschoss deutlich. Der Smetana-Saal wurde auch als Antithese zum „deutschen“ Rudolfinum entworfen und ehrt entsprechend die tschechische Musik. Der Primator-Saal wurde als wichtigste repräsentative Räumlichkeit von niemand anderem als Alfons Mucha gestaltet. Sein 1909 begonnener „Slawischer Epos“ findet im Primator-Saal eine vorwegnehmende Ausarbeitung, historische Persönlichkeiten, slawische Arbeiter und die überschießende Energie der Jugend sind hier das Thema. Gleichsam kommentiert sind die Gemälde mit Titeln wie „Gedemütigt und gemartert – verwaiste Heimat, Du wirst auferstehen!“
Was bleibt nach so einer Führung? Man hat dem Jugendstil vorgeworfen, eine „akademische Ausgedachtheit“ (Joachim Fest) zu sein, doch ging der Entwurf des Obecní dům eben nicht vom Abstrakten, sondern durchweg vom Menschen und einer großen Idee aus: Mit einer beeindruckenden Eloquenz erzählt das Gemeindehaus vom tschechischen Bürgertum, von nationaler Souveränität und kultureller Selbstbehauptung.
Wie kein anderes Prager Gebäude dieser Zeit symbolisiert es damit Repräsentationslust, Geschichtsbewusstsein und Ästhetizismus der bürgerlichen Epoche im fin de siecle. Nachfolgende Architekturen in Prag (und nicht nur dort) verloren sich zunächst im abstrakt gestalteten Kubismus und gerieten schließlich fantasielos und funktional.
Der Sozialismus räumte gewissermaßen mit den Resten an Bürgerlichkeit auf. Und ein Vierteljahrhundert nach dem Fall des Eisernen Vorhangs blieb vom Bürger nur noch der Konsument. Läuft man heute vom Wenzelsplatz über den Graben (Na příkopě) in Richtung des Platzes der Republik, offenbart ein Blick auf die Fassaden, dass, rund Hundert Jahre nach der Einweihung des Repräsentationshauses, mehr als nur das bürgerliche Zeitalter zu Ende ist.