„Das sind die letzten Ergebnisse der tschechischen Architektur und ein Versprechen, wie das neue Prag Urständ feiert. Einem Menschen mit einer Prise Geschmack wird davon freilich bänglich und er schämt sich für das neue Prag.“
Das schrieb ein Kritiker 1907 in der Zeitschrift Volne Smery – und das, was er als das „neue Prag“ fürchtet, gilt heute gemeinhin als eine der Prachtstraßen in der böhmischen Metropole, nämlich die Pariser Straße (Pařížská), die im Zuge der Assanierung des Stadtteils Josefov den Geist des alten Prag wiedererwecken wollte.
Das alte Prager Ghetto
Tatsächlich folgte das Assanierungsgesetz aus dem Jahre 1893, das die hygienischen Missstände im ehemaligen Judenghetto zu beseitigen trachtete, keinem übergeordneten städtebaulichen Konzept. Seit 1895 wurden in Josefov nach und nach Bauten abgerissen, Baugründe planiert und auf Grundlage eines zu dieser Zeit angemessenen Kanalisationssystems neu errichtet.
Das Fehlen eines Gesamtkonzeptes bedingte die lange Entstehungszeit, weshalb sich der Assanierungsprozess bis ins Jahr 1915 hinzog. Dass die beginnende Moderne freilich auch ihre Spuren hinterlassen sollte, ist nicht zu übersehen. Josefov bündelt wie in einem Brennspiegel den künstlerischen Umbruch zur Jahrhundertwende.
Bestimmend wurde für das“neue“ Josefov die Pariser Straße, und die Entscheidung, das einstige Ghetto nach französischem Vorbild einen Boulevard als Kommunikationsachse zu verpassen, lässt vor allem den städteplanerische Eingriff nachvollziehen, den der Altstädter Ring erfahren hat. Gerade wer vom Pulverturm von der Celetna kommt und über die Karlova in Richtung Karlsbrücke spaziert, merkt es: Wie der Altstädter Ring durch schmale, sich gleichsam in Winkeln verlierenden Seiten-Gassen über Jahrhunderte seine Geschlossenheit als Marktplatz bewahren konnte.
Mit der Assanierung Josefovs war, zumindest im Norden, dieses städtebauliche Prinzip durchbrochen. Eckhäuser verschwanden, die Dlouha wurde verbreitert, ebenso die Kaprova. Nicht nur sichtbar, ja richtiggehend entblößt wurde die Niklaskirche. Bestimmend wurde vor allem der geradlinige Durchbruch der Pariser Straße, der von an den Blick auf den Letna preisgab.
Es ist nicht ohne Ironie, aber letztlich typisch für den Architektur-Diskurs jener Zeit in Prag: Die Čech-Brücke, die die Pariser Straße über die Moldau in Richtung Letna führt, ist die einzige Jugendstil-Brücke in Prag. Sie stammt von Jan Koula, einem der entschiedensten Gegner der Moderne in Prag und Mitglied des „Klubs für das Alte Prag“; hierin folgte Koula aber nur der paradoxen Tendenz der Prager Jahrhundertwende, dass ausgerechnet die autoritären Vertreter des Historismus zu Baumeistern des Jugendstils werden sollten.