Der israelische Fotograf Yigal Gawze dokumentiert in seinem Fotoband Form and Light die Bauhaus-Architektur in seiner Heimatstadt Tel Aviv. Zum 100. Geburtstag des Bauhauses liefert der Band des Münchner Hirmer-Verlages nicht nur lichtspielerisch arrangierte Architektur-Fotografien, sondern auch eine paradoxe Pointe: Auch das einstmals Revolutionäre fällt irgendwann in Hände bürgerlicher Bewahrer.
Modern wurde die ästhetische Moderne, nachdem sich Künstler von den Maßstäben vorangeganger Epochen lösten. Statt Kanon und Tradition stand das radikal Neue auf der Agenda. Deutlicher zu Tage getreten sind diese Bruchlinien erst im Rückblick gerade in der Architektur, als nach dem Zweiten Weltkrieg die gebaute Vergangenheit aus den Innenstädten mehr und mehr verschwand. Eine Vorgeschichte hatte dieser Erinnerungsverlust schon in den Zwanziger Jahren. Damals entwarfen Gropius und die Seinen unter den Vorzeichen einer progressiven gesellschaftlichen Rationalität die Architektur des Bauhauses. Orientiert haben sich die Apolegeten an der Sachlichkeit gängiger Fabrik- und Lagergebäude. Der Siegeszug des Funktionalismus begann.
Als der Fotograf Yigal Gawze 1984 in der Ausstellung The White City im Tel Aviv Museum of Art mit der heimischen Bauhaus-Architektur in Berührung kam, ahnte er wohl noch nichts von den einstmals revolutionären Zügen dieser deutschen Architektur-Tradition. Die Bauhaus-Architektur war für den jungen Gawze ja immer schon da, die Ausstellung machte ihm aber Unbewusstes bewusst. Nach Jahren der ästhetisch-kunstgeschichtlichen Inkubation begann Gawze 1993 schließlich zu fotografieren.
Tel Aviv Bauhaus
Am Ende dieser flanierenden Erkundungen mit der Kamera steht nun der Bildband „Form and Light“. Er legt damit Zeugnis ab von einer jahrelangen Beschäftigung mit der Tel-Aviv-Bauhausarchitektur, die immer auch ein Erkunden des Eignen ist. Die Metamorphosen deutet der Untertitel des Bandes an. „From Bauhaus to Tel Aviv.“ Europäisches kam in Tel Aviv an. Und dort wurde es anverwandelt.
Architekturhistorisch stand die Bauhausästhetik nicht am Beginn der Stadt, da sich Tel Aviv erst vom Erbe historistischen Bauens lösen musste, das unter dem Einfluss osmanischer Herrschaft noch nachwirkte. Federführend wurde Walter Gropius‘ architektonische Revolution erst mit den immigrierten Baumeistern wie Zeev Rechter oder Arieh Sharon in den Dreißiger und Vierziger Jahren. Von da an setzte sich die Sachlichkeit gebauter Zweckmäßigkeit durch: kühl, weiß und klar, mit markanten Auskragungen und Thermometer-Fenstern für lichtdurchflutete Treppenhäuser.
Fotografischer Konservatismus
Yigal Gawzes Dokumentationsbedürfnis in den beginnenden Neunziger Jahren entwuchs allerdings nicht nur der ästhetischen Erfahrung, sondern auch der Sorge. Der einstige Glanz, so der der Fotograf in seinem einleitenden Essay, sei durch Staub, Abgase und Vernachlässigung verblasst. Von den 4000 im Laufe der Dreißiger und Vierziger Jahre errichteten Baudenkmäler sind viele in einem schlechten Zustand, auch wenn Bürgerinitiativen sich um die Restauration des UNESCO-Weltkulturerbes bemühen. So gesehen agiert Gawze im Grunde in der Tradition europäischer Stadterkunder wie der Franzose Eugène Atget oder der Tscheche Jindřich Eckert, beide um einen fotografischen Konservatismus bemüht, da sowohl in Paris als auch in der Prager Josefstadt umfangreiche Abriss- und Modernisierungsarbeiten anstanden.
Eine Art Rückkehr stellt aber auch die fotografische Praxis selbst dar, orientiert sich Gawze stilistisch offenkundig an der Bauhaus-Fotografin der ersten Stunde, nämlich Lucia Moholy. Der Fotograf geht in die Totale, arbeitet im Weitwinkel-Bereich, vermeidet aber gängige Postkartenmotive und Klischees. Das Versprechen, das im Titel „Form and Light“ mitgeführt wird, löst Gawze aber erst überall da ein, wo der Fotograf über die Tschechin Moholy hinausgeht, nämlich ins Abstrakt-Formalistische drängt, lebensweltliche Bezüge kappt, und in Ausschnitten und Details die Abwesenheit des städtischen Trubels und Lärms inszeniert. Was dann bleibt, sind Linien, Oberflächen und Strukturen, die Gawze zusammen mit dem tiefblauen Himmel in leuchtende Akkorde einer mediterranen Farbenmusik übersetzt.
Architektur und Identität
Hundert Jahre nach der Gründung des Bauhauses ist der Architektur-Schule von Walter Gropius vor allem in der konservativen Architektur-Kritik kein guter Leumund beschieden. Einen Höhepunkt dieser Kritik bildete dabei zweifelsohne Tom Wolfes Essay Mit dem Bauhaus leben. Wolfes beisserisch-ironische Polemik wandte sich zuvörderst gegen die seelenlose Reproduktionsmechanik, die mit den europäischen Exilanten in den USA Einzug hielt. Auf einer tieferen Ebene zielte Wolfes Kritik auf eine identitätspolitische Preisgabe eigener Ideen und Traditionen, als deren Vertreter er etwa Frank Lloyd Wright erkannte. Die Frage „Wer sind wir? und „Woher kommen wir?“ berührt aber eben auch die architektonische Erinnerungskultur in Tel Aviv, ironischerweise mit einer Formensprache, die mit allem brach, was das alte Europa an ästhetischem Reservoir so aufbot. Der Lauf der Geschichte brachte es mit sich, dass Tel Aviv heute über das größte geschlossene Ensemble an Bauhaus-Gebäuden in der Welt verfügt, eingebettet in das zionistische Narrativ einer neuen und sicheren Welt. So gesehen reiht sich der Band in jene Erzählungen ein, die vom engen Zusammenhang von Mythos und Moderne berichten.
Der Fotograf arbeitete für den Band mit einer Nikon F3 HP sowie mit 28mm- und 50-mm-Objektiven.