Als die Deutschen vertrieben wurden, kamen die Tschechen und mit ihnen der Sozialismus ins Sudetenland. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs herrschte eine oftmals enttäuschte Aufbruchsstimmung inmitten von Verfall und Anarchie. Der Prager Fotograf Jaroslav Kučera dokumentierte das Vakuum, das die Geschichte mitten in Europa hinterließ.
Vom ostdeutschen Lyriker Volker Braun stammt das schöne Gedicht „Utopie: (Totentanz I)“, veröffentlicht im Jahr 2000, worin es über die Sehnsucht nach der schönen neuen Welt heißt: „Sie hat nichts Besseres zu tun als nichts/Beschäftigt mit Überleben, von der Hand in den Mund/Ein Gespenst aus der Zukunft arbeitslos/Singend in Soho! Gebettet auf Rosen! Ein Tagtraum/Vom aufrechten Gang an der Nabelschnur/ Des Büchsenbiers ….“
Brauns Abgesang auf den utopischen Anspruch kam mir beim ersten Durchblättern durch Kučeras Sudetenland-Band in den Sinn, liest er sich wie doch wie ein lyrischer Kommentar dessen, was der Prager Fotojournalist ex post im tschechischen Niemandsland seit Beginn der 90er Jahre erkunden konnte. Mehr als drei Millionen Deutsche waren gegen Ende des Zweiten Weltkriegs vertrieben worden, mit Ihnen über Jahrhunderte währende Traditionen und Lebensformen. In der geschichtlichen Verdunkelung, die folgte, entstand unter sozialistischen Vorzeichen ein Prospekt aus Raubbau, Mangelwirtschaft und einem bunten Bevölkerungsgemisch. Kučera erinnert sich:
„Danach kam eine völlig gemischte Gesellschaft in diese Grenzgebiete. Natürlich waren auch anständige Leute darunter, aber insgesamt… Wohin sonst als zur Zerstörung hätte das alles führen sollen, dazu noch während der Zeit des Kommunismus? Die Landschaft wurde ja ganz systematisch zerstört, dort wurde Kohle abgebaut und noch viele andere Dinge.“
Kommentare geschlossen