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Prager Sezession Beiträge

Die Vermessung der Stadt

Eine Mammut-Aufgabe, an deren Ende ein voluminöses wie in jeder Hinsicht gewichtiges Werk steht. Mit dem zweibändigen Band „Atlas zum Städtebau“ legen die Architektur-Theoretiker Markus Tubbesing, Vittorio Magnago Lampugnani, Harald Stühlinger zwei wegweisende Bände vor, die auch außerhalb etablierter Fachkreise auf Interesse stoßen werden.

Atlas zum Städtebau. Hg. Markus Tubbesing, Vittorio Magnago Lampugnani, Harald Stühlinger.
Atlas zum Städtebau. Hg. Markus Tubbesing, Vittorio Magnago Lampugnani, Harald Stühlinger.© Hirmer Verlag GmbH, München. ISBN: 978-3-7774-2966-3

Den verloren gegangenen Ariadnefaden wollten die Macher dieses zweibändigen Atlas zum Städtebau wieder aufnehmen. Nachdem sich im 19. Jahrhundert eine Tradition städtebaulicher Handbücher und Publikationen von Ildefonso Cerda über Josef Stuben bis hin zu Ludwig Hildesheimer etablieren konnte, verlor sich dieser noch sehr dünne und kurze Traditionsstrang nach den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Die Frage, was eine moderne Stadt ist oder werden sollte, war im Angesicht intellektueller Beliebigkeiten keine dringliche mehr, und die Trennung von Stadtplanung und Stadtarchitektur sowie die immer amorpher und formloser in die Landschaften wuchernden Städte leisteten nicht minder einer allgemeinen Regellosigkeit Vorschub. Handbücher zum Städtebau waren spätestens in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts wie aus der Zeit gefallen.

Einen neuen Anlauf stellte mit dem Ende des 20. Jahrhunderts der Versuch dar, den Städtebau durch Architektur und vor allem die Landschaftsarchitektur zu ersetzen. Zwar wiesen diese „grünen“ Vereinnahmungen durchaus sehenswerte Ergebnisse auf; doch schwächten sie gleichzeitig die Erfahrung des Urbanen in solchen Gebieten. Was fehlte, so Vittorio Magnago Lampugnani in seinem Vorwort, war der ganzheitliche Blick, die Sensibilität für die organische Entwicklung hochindividueller urbaner Gebilde wie auch das Wissen, diese produktiv weiterzuentwickeln.

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Um einen Fotografen von außen bittend

Weit weg von kafkaesken Düsternissen und romantischen Meditationen zeigt uns der österreichische Fotograf Alfred Seiland Prag als kulturelles Zentrum zwischen Dientzenhofer Barock und Jugendstil. Schon 1994 im längst nicht mehr existierenden Schweizer Verlag Edition Stemmle erschienen, lohnt nach wie vor ein Kauf des Kunstbandes.

Alfred Seiland
Alfred Seiland – Prag. © Edition Stemmle (1994). 30 x 30 cm. 107 Seiten.

Der Blick ist notgedrungen ein anderer. Der Österreicher Alfred Seiland kam nur wenige Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs nach Prag. Anders als den Ortsansässigen Josef Sudek und Jan Reich ging es ihm nicht um eine weitere Variation mythisch-romantischer Stadtansichten. Im Gepäck des Zugereisten Seiland fand sich neben einer Großformatkamera eben auch ein Stück deutsch-österreichischer Lichtbildner-Tradition – von der Landschaftsfotografie über die kapitalistische Werbefotografie bis hin zur omnipräsenten Düsseldorfer Schule.

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Es war einmal in Piemont

Italienische Fragmente

Am Fuße der Alpen, in Turin und Umgebung, wandelt der tschechische Fotograf Josef Koudelka auf den Spuren Josef Sudeks und widmet sich panaromatischen Stadtansichten und Landschaftsaufnahmen. Zu sehen gibt es wie zu erwarten wenig Bukolisches, dafür umso mehr baulicher Brutalismus und Sichtbeton. Ich habe mir den Band Piemont des französischen Xavier-Barral-Verlages genauer angeschaut.

Josef Koudelka – Piemonte. © Editions Xavier Barral. Hardcover. 330 × 205 mm. 160 Seiten. 76 Fotografien. ISBN : 978-2-91517-349-9

Der Band Piemont steht in der Reihe panoramatischer Fotoprojekte, in denen der tschechische Fotograf Josef Koudelka seit Mitte der 80er Jahre neue Möglichkeiten im Fotojournalismus erprobte. Stationen dieses Schaffens waren das tschechische Kohlerevier, Wales, Camargue oder zuletzt Israel und die Westbank.

Ihren ersten Höhepunkt fand diese Schaffensphase im Band Chaos aus dem Jahre 1999. Nicht ohne eine gewisse philosophische Tiefe, zog Koudelka in diesem Band eine Art Bilanz des 20. Jahrhunderts und dekonstruierte die Hybris einer einer vermeintlich aufgeklärten Welt. Was vom Säkulum vor allem blieb, das waren die Verheerungen durch Krieg, die rücksichtslose Ausbeutung der Natur oder die Unwirtlichkeit moderner Städte.

Josef Koudelka beerbte mit seinen Panorama-Aufnahmen das Schaffen des anderen großen Tschechen, nämlich Josef Sudek. In Ausführung ähnelt die Veröffentlichung des Xavier-Barral-Verlages wohl nicht von Ungefähr dem legendären Band Praha Panoramaticka des einarmigen Fotografen. 1953 erschienen, verwandelte Sudek die böhmische Metropole in träumerisch-märchenhafte Stadtlandschaften, und womöglich war der Tscheche einer der letzten Fotografen, der den Mythos der urbanen Moderne in dieser Art inszenieren konnte.

Denn wie sehr Sudeks Ästhetik an den Chronotop Prags gebunden war, zeigten Jahre seine Aufnahmen vom Kohlerevier bei Most. Der romantische Blick Sudeks zerbarst gleichsam an den Verheerungen der Moderne, und wohl nicht von Ungefähr gerieten die genialen, aber in sich widersprüchlichen Aufnahmen jahrzehntelang in Vergessenheit. Als Anfang der 90er Jahre Josef Koudelka das Kohlerevier fotografisch erkundete, konnte und wollte er dieser romantischen Perspektive nicht mehr folgen. Zu sehr hatten sich biografische Schlüsselerlebnisse in Koudelkas Psyche eingegraben, um noch an einer mythisierenden Bewältigung menschengemachter Katastrophen zu glauben.

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