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Autor: Tonda

An der Nabelschnur des Büchsenbiers

Als die Deutschen vertrieben wurden, kamen die Tschechen und mit ihnen der Sozialismus ins Sudetenland. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs herrschte eine oftmals enttäuschte Aufbruchsstimmung inmitten von Verfall und Anarchie. Der Prager Fotograf Jaroslav Kučera dokumentierte das Vakuum, das die Geschichte mitten in Europa hinterließ.

Jaroslav Kučera - Sudety
Jaroslav Kučera: Sudety (Sudetenland). Prag, 2016. © Jakura-Verlag. ISBN: 978-80-906532-0-7

Vom ostdeutschen Lyriker Volker Braun stammt das schöne Gedicht „Utopie: (Totentanz I)“, veröffentlicht im Jahr 2000, worin es über die Sehnsucht nach der schönen neuen Welt heißt: „Sie hat nichts Besseres zu tun als nichts/Beschäftigt mit Überleben, von der Hand in den Mund/Ein Gespenst aus der Zukunft arbeitslos/Singend in Soho! Gebettet auf Rosen! Ein Tagtraum/Vom aufrechten Gang an der Nabelschnur/ Des Büchsenbiers ….“

Brauns Abgesang auf den utopischen Anspruch kam mir beim ersten Durchblättern durch Kučeras Sudetenland-Band in den Sinn, liest er sich wie doch wie ein lyrischer Kommentar dessen, was der Prager Fotojournalist ex post im tschechischen Niemandsland seit Beginn der 90er Jahre erkunden konnte. Mehr als drei Millionen Deutsche waren gegen Ende des Zweiten Weltkriegs vertrieben worden, mit Ihnen über Jahrhunderte währende Traditionen und Lebensformen. In der geschichtlichen Verdunkelung, die folgte, entstand unter sozialistischen Vorzeichen ein Prospekt aus Raubbau, Mangelwirtschaft und einem bunten Bevölkerungsgemisch. Kučera erinnert sich:

„Danach kam eine völlig gemischte Gesellschaft in diese Grenzgebiete. Natürlich waren auch anständige Leute darunter, aber insgesamt… Wohin sonst als zur Zerstörung hätte das alles führen sollen, dazu noch während der Zeit des Kommunismus? Die Landschaft wurde ja ganz systematisch zerstört, dort wurde Kohle abgebaut und noch viele andere Dinge.“

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Die Vermessung der Stadt

Eine Mammut-Aufgabe, an deren Ende ein voluminöses wie in jeder Hinsicht gewichtiges Werk steht. Mit dem zweibändigen Band „Atlas zum Städtebau“ legen die Architektur-Theoretiker Markus Tubbesing, Vittorio Magnago Lampugnani, Harald Stühlinger zwei wegweisende Bände vor, die auch außerhalb etablierter Fachkreise auf Interesse stoßen werden.

Atlas zum Städtebau. Hg. Markus Tubbesing, Vittorio Magnago Lampugnani, Harald Stühlinger.
Atlas zum Städtebau. Hg. Markus Tubbesing, Vittorio Magnago Lampugnani, Harald Stühlinger.© Hirmer Verlag GmbH, München. ISBN: 978-3-7774-2966-3

Den verloren gegangenen Ariadnefaden wollten die Macher dieses zweibändigen Atlas zum Städtebau wieder aufnehmen. Nachdem sich im 19. Jahrhundert eine Tradition städtebaulicher Handbücher und Publikationen von Ildefonso Cerda über Josef Stuben bis hin zu Ludwig Hildesheimer etablieren konnte, verlor sich dieser noch sehr dünne und kurze Traditionsstrang nach den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Die Frage, was eine moderne Stadt ist oder werden sollte, war im Angesicht intellektueller Beliebigkeiten keine dringliche mehr, und die Trennung von Stadtplanung und Stadtarchitektur sowie die immer amorpher und formloser in die Landschaften wuchernden Städte leisteten nicht minder einer allgemeinen Regellosigkeit Vorschub. Handbücher zum Städtebau waren spätestens in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts wie aus der Zeit gefallen.

Einen neuen Anlauf stellte mit dem Ende des 20. Jahrhunderts der Versuch dar, den Städtebau durch Architektur und vor allem die Landschaftsarchitektur zu ersetzen. Zwar wiesen diese „grünen“ Vereinnahmungen durchaus sehenswerte Ergebnisse auf; doch schwächten sie gleichzeitig die Erfahrung des Urbanen in solchen Gebieten. Was fehlte, so Vittorio Magnago Lampugnani in seinem Vorwort, war der ganzheitliche Blick, die Sensibilität für die organische Entwicklung hochindividueller urbaner Gebilde wie auch das Wissen, diese produktiv weiterzuentwickeln.

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Um einen Fotografen von außen bittend

Weit weg von kafkaesken Düsternissen und romantischen Meditationen zeigt uns der österreichische Fotograf Alfred Seiland Prag als kulturelles Zentrum zwischen Dientzenhofer Barock und Jugendstil. Schon 1994 im längst nicht mehr existierenden Schweizer Verlag Edition Stemmle erschienen, lohnt nach wie vor ein Kauf des Kunstbandes.

Alfred Seiland
Alfred Seiland – Prag. © Edition Stemmle (1994). 30 x 30 cm. 107 Seiten.

Der Blick ist notgedrungen ein anderer. Der Österreicher Alfred Seiland kam nur wenige Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs nach Prag. Anders als den Ortsansässigen Josef Sudek und Jan Reich ging es ihm nicht um eine weitere Variation mythisch-romantischer Stadtansichten. Im Gepäck des Zugereisten Seiland fand sich neben einer Großformatkamera eben auch ein Stück deutsch-österreichischer Lichtbildner-Tradition – von der Landschaftsfotografie über die kapitalistische Werbefotografie bis hin zur omnipräsenten Düsseldorfer Schule.

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