Das Buch ist mit den kompakten Maßen für einen Fotoband eigentlich zu klein und das geniale Cover hätte man gerne als Poster. Aber man soll ja Bücher nicht nach Äüßerlichkeiten beurteilen. Was sehen wir also, wenn wir den Band Fragments of Metropolis aufschlagen? Architektur des Expressionismus in Osteuropa natürlich, fotografiert vom Architekten Niels Lehmann. Und vor allem: Die schöne Moderne vor dem Siegeszug des Bauhauses.
Dass sich die zeitgenössischen politischen Bruchlinien durch die Architektur-Debatten ziehen, ist bekannt. Erwähnenswert ist das publizistische Ringen um die neue alte Frankfurter Altstadt und das Für und Wider in Baumeister, FAZ und Welt. Was den einen als gebaute Geschichtsklitterung schien, war den anderen Rückkehr zu altem Formbewusstsein und Schönheit.
Wie interessant, dass sich die publizistischen Frontverläufe auch in Sachen Expressionismus wiederfinden – zumindest virtuell. In der Januar-Ausgabe des Cato-Magazins war es Karlheinz Weißmann, der sich in seiner Kolumne Genius Loci dem architektonischen Expressionismus widmete und das Chilehaus in Hamburg als schönes Stück traditionsbewusster Avantgarde interpretierte. Auf der anderen Seite die SPD-Politikerin Gesine Schwan, die im Vorwort zum hier besprochenen Band die Fahne von Fortschritt und Diversität schwenkt.
Was aber ist aber plausibler? Blickt man durch den Band, ruft man sich gar die Gebäude beim Flanieren in Erinnerung, wird einem klar, dass die Bauten sich noch durchaus in bestehende Bauensembles einfügen – in Prag und anderswo, auch wenn die Formensprache sich von Historismus und Jugendstil entfernt hat.
Wege nationaler Baukunst
Der Grund hat elementar damit zu tun, dass sich die Architekten noch als Künstler begriffen. Die Feststellung ist keine Marginalie, denn das, was gemeinhin als modern apostrophiert wird, nämlich der oftmals banale Funktionalismus des Bauhauses, war vom architektonischen Expressionismus weiter entfernt als die gebaute Ästhetik der bürgerlichen Epoche. Diesseits der von Architekten wie Le Corbusier, Walter Gropius oder Mies van der Rohe gezogenen Demarkationslinien bildeten nach wie vor Maß und Proportionsbewusstsein vorangegangerner Stile die Grundannahmen expressionistischen Bauens. Und nicht nur das: Begangen wurden nach dem Ersten Weltkrieg Wege nationaler Baustile. Hierzu zählt die sog. „Weichselgotik“ wie auch der „Rondokubismus“ des tschechoslowakischen Baumeisters Josef Gocar.
Fast schon irritierend nimmt sich daher die Bezeichnung Expressionismus aus. Von der Malerei und bildenden Kunst kommend, fallen einem infantilisierende Zeichnungen und Malereien, unproportionierte Porträits, farbliche Exaltationen sowie Sujets und Anleihen aus Afrika ein. Von solchen Durchgängereien eher unberührt, dokumentierte der Theoretiker Adolf Behne die Art zu bauen so:. „Der expressionistische Architekt steigt in das Wesen seiner Aufgaben ganz tief und ganz gespannt hinab […]. Ihm ergibt sich alles aufs neue vom Grund aus, er schafft ganz von innen. Notwendig ist ihm jede Form etwas Einmaliges, weil niemals bei einer neuen Aufgabe genau die gleichen Bedingungen wiederkehren können.“ Auch hier erkennt man schon die vorausgreifende Frontstellung zum späteren Klonieren der Bauhaus-Schule; zudem erscheinen mit der Suche nach „Tiefe“ und „Ausdruck“ die dergestalt realisierten Architekturen noch einmal als spätbürgerliches Resümee romantisch-ästhetischer Selbstreflexion.
Der Band Fragments of Metropolis ist der dritte Band zum baulichen Expressionismus in Europa, gleichzeitig komplettiert er die von Christoph Rauhut herausgegebene Gesamtschau mitteleuropäischer Bauten. Etwas merkwürdig ist die Titelwahl aber doch. Der Ikonographie von Vermassung und dem Schreckbild eines termitenhaften Daseins, die Fritz Lang in seinem Film Metropolis 1927 kongenial umsetzte, werden die Fotografien alles andere als gerecht. Im Gegenteil: In den gelungensten Bauten zeigen uns Josef Chochol, Jan Kotera, Josef Gocar & Co., wie man Schönheit denken und baulich realisieren kann. Dies zu betonen fällt zumal im Jubiläums-Jahr des Bauhauses nicht schwer.