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Die Ästhetik des schönen Scheins

Der Fotograf Angelo Purgert veröffentlichte schon 2011 seinen Band „Prvni Rebublika“. Heuer, zum hundertsten Jahrestag der Republikgründung der Tschechoslowakei, wird der Band im edleren Gewand neu veröffentlicht. Zu sehen gibt es fotografische Beschwörungen der Goldenen Zwanziger in und um Prag. Im Gemeindehaus, im Hotel Art Deco oder im Lucerna. 

Angelo Purgert: Die Erste Republik

Die Annäherung an das Thema war für den Prager Fotografen Angelo Purgert unkonventionell. Purgert wollte keine zeitgenössischen Aufnahmen aus den Zwanziger Jahren aus Prag oder anderswo studieren, sondern verließ sich ganz auf das vermittelte Bild dieser vermeintlich glorreichen Zeit. Für das Projekt bedeutete das die Absage an einer Form fotografisch-historischer Aufführungspraxis. Wäre Purgert dergestalt verfahren, hätte er auf das starre und ungelenke Großformat setzen müssen. Das tat er aber nicht, sondern arbeitete offenkundig mit dem Vollformat gängiger Canon- oder Nikon-Modelle. Die Feststellung ist keine Marginalie, denn im Medium von Spiegelreflexkamera und Photoshop ist die Wahrnehmung –  der Blick zurück in die Zwanziger – schon gebrochen.

Blättert man durch den Band, fällt die eigentümliche Gestelztheit und Inszeniertheit der Bilder auf. Posen, Gesten oder Lächeln wirken oftmals überbetont, gekünstelt, unecht. Angelo Purgert ging es also von vornherein nicht um eine raunende Inszenierung der Roaring Twenties, sondern die Mannequins sollten einfach nur so tun, als wären sie im Prag der Zwanziger Jahre. Das Wie ist in Wahrheit das Als ob.

Zu schön, um wahr zu sein?

Aus der Literatur wissen wir um solche Verfremdungseffekte. In Adalbert Stifters Nachsommer-Welt konstruierte der böhmisch-österreichische Schriftsteller eine kleine idealisierte Welt, die eigentlich nicht mehr ist, weil in der Welt des Außerhalb keiner von privaten Enttäuschungen gefeit war und überdies die Anforderungen kaufmännischer Zweckmäßigkeiten allgegenwärtig sind. Die Sprache in Stifters Roman ist so hölzern und gestelzt wie das Gebaren der vornehmen Damen und Herren im Obecni Dum, im Hotel Art Deco oder im Hotel Paris, Orte also, die wie im Nachklang den Glanz der Jahrhundertwende bewahrt hatten.

Mit einer verfremdeten Rückkehr ins Stilisiert-Nostalgische repetiert der Prager Fotograf nur alte Fluchtreflexe, die andere schon Generationen vor ihn vorexerziert hatten. Der deutsche Schriftsteller Ernst Jünger zum Beispiel. Der sprach 1934 mit Blick auf die Belle Epoque von „Wehmut“, die ihn in Angesicht von Vermassung, Modernisierung und Nihilismus befiel. Und Heinrich Mann, der Schriftsteller der politisch anderen Seite, schwelgte noch in seinen letzten Jahren, als Armut und Isolation ihn heimsuchten, immer wieder in Gedanken an den schönen Schein und den falschen Herrlichkeiten, der Eleganz und der Etikette: „Der europäische Geist hatte … einen glücklichen Augenblick, er war um 1890 und noch einige Jahre nachher.“

Einer Ästhetik des schönen Scheins waren sie also aufgesessen, denn was tatsächlich war und was da kommen sollte, darum wusste nun jeder. Der große Krieg, die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, dann der auf Pump erfolgte Wirtschaftsaufschwung: „Vorne die Armenküchen und auf der Rückseite Charleston und Bubikopf, La Jana und das Parkettgehopse“, höhnte ein konservativer Beobachter mit Blick auf die Berliner Verhältnisse. Schließlich der Zweite Weltkrieg und die deutsche Besatzung. Insoweit musste die Perspektive Purgerts gebrochen sein. So ist alles im Fotoband unecht, prätentiös, gespielt – und dennoch ist es schön.

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