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Um einen Fotografen von außen bittend

Weit weg von kafkaesken Düsternissen und romantischen Meditationen zeigt uns der österreichische Fotograf Alfred Seiland Prag als kulturelles Zentrum zwischen Dientzenhofer Barock und Jugendstil. Schon 1994 im längst nicht mehr existierenden Schweizer Verlag Edition Stemmle erschienen, lohnt nach wie vor ein Kauf des Kunstbandes.

Alfred Seiland
Alfred Seiland – Prag. © Edition Stemmle (1994). 30 x 30 cm. 107 Seiten.

Der Blick ist notgedrungen ein anderer. Der Österreicher Alfred Seiland kam nur wenige Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs nach Prag. Anders als den Ortsansässigen Josef Sudek und Jan Reich ging es ihm nicht um eine weitere Variation mythisch-romantischer Stadtansichten. Im Gepäck des Zugereisten Seiland fand sich neben einer Großformatkamera eben auch ein Stück deutsch-österreichischer Lichtbildner-Tradition – von der Landschaftsfotografie über die kapitalistische Werbefotografie bis hin zur omnipräsenten Düsseldorfer Schule.

Dass der Blick von außen vor allem von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit wandert, überrascht wenig. Seiland tritt hier nicht nur als Künstler, sondern auch als Tourist in Erscheinung, und zu sehen ist denn eben all das, was Besucher bis heute in die pittoreske Metropole lockt, aber bis 1989/90 fast vergessen schien. Architektonisches aus Barock, Historismus und Jugendstil finden wir, dies aber in bemerkenswerter Weise. Schon beim ersten Durchblättern lässt sich feststellen, dass die Interieur-Aufnahmen wahrscheinlich zu den besten Fotografien des Gemeindehauses sowie des Grand Hotel Europa gehören, ja, sie grenzen schon ans Wunderbare, da Seiland mit einer sperrigen und ungelenken 4×5-Zoll-Kamera den Gebäuden immer wieder neue, ungeahnte Perspektiven abringen konnte. Offenkundig ist denn auch schnell, dass es dem Österreicher nicht um Bechersche Typologien geht, sondern bei jeder Aufnahme in einen neuen, fruchtbaren Dialog mit der Architektur trat.

Der Band Prag gehört zum zweiten großen Zyklus des österreichischen Fotografen. Nach den amerikanischen Erkundungen East Coast, West Coast in den 80er Jahren folgte 1994 der Prag-Zyklus. Zuletzt erregte Seiland Aufsehen mit seinen Aufnahmen antiker Überbleibsel in Europa, auf denen der Österreicher touristische Besuchergruppen oder Aussichtsplattformen konsequent mit-dokumentierte. Diese ästhetische Brechung gab dem Band eine Volte, die das abendländische Erbe durch den Tourismus als wohlstandgetriebener Ausläufer des Kapitalismus vereinnahmt sah. Von dieser Brechung ist der Band frei. Nur wenige Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, so die überwätigend einfache Botschaft des Bilder-Zyklus‘, verortet Seiland wieder Prag da, wo Paris, Rom und Lissabon im Bewusstsein aller Europäer schon immer lagen: im kulturellen Zentrum Europas.

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